(Re-) Konstruktion eines (Film-) Körpers

RoboCop (2014)


„(…) Alex believes, right now, he is in control,
but he’s not. It’s the illusion of free will.“

(Raymond Sellars (Filmfigur) in „Robocop“, 50. Min., Blu-ray Disc,
Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. & Columbia Pictures Industries Inc., 2014)


Remakes sind eine seltsame Angelegenheit. Wie die Variation eines klassischen Grundrezeptes in der Gastronomie präsentieren sie Altbewährtes in neuem Gewand. Steht ein Cheeseburger auf der Speisekarte, so hätten ziemlich alle eine Vorstellung davon, was bei einer Bestellung zu erwarten wäre. Die Art und Weise aber wie ein Restaurant diese Art von Burger zubereitet, bleibt immer noch eine Überraschung – und kann obendrein auch ordentlich daneben gehen. Zumindest hat man aber mit der Wahl die potenzielle Anzahl von Fehlgriffen bei reichhaltigem Angebot minimiert (Reduktion von Komplexität). Und für ein Hamburgerrestaurant erhöht ein Klassiker wie der Cheeseburger auf der Karte die Wahrscheinlichkeit eines höheren Umsatzes, weil man sich auf die kulinarische Sozialisation seiner Gäste bei der Planung der Speisen stützen kann.

Übertragen auf Filme sind Remakes für die Filmindustrie ein kalkulierbares Risiko. Jedenfalls allemal kalkulierbarer als die Investition in einen gänzlich neuen Filmstoff. Leider spielen die wirtschaftlichen Zahlen immer eine Rolle, zumal die Herstellung eines Blockbusters um einige hundertmillionen Dollar teurer sein dürfte als die Zutaten für gehaktes Fleisch in Brot mit Käse – was nicht heißen soll, dass es ok wäre, wenn die Zubereitung eines Burgers daneben geht.

Die Wiederholung bzw. Neuverfilmung eines Stoffes, der sich in der Vergangenheit bereits als Erfolg erwiesen hat, bringt mehrere Vorteile:

  • Der Plot hat sich bewährt.
  • Der Titel bzw. die Marke ist dem popkulturellen Gedächtnis immanent und leicht wieder abrufbar
  • Je nach Alter des Klassikers würde eine Neuverfilmung gleich mehrere Generationen ins Kino locken können.

Dabei geben sich die Macher*innen in der Regel – sobald die vermeintlich erfolgversprechenden Zutaten des Originalrezeptes identifiziert wurden – mit einem generellen „Mehr“ zufrieden, um den finanziellen Erfolg zu gewährleisten: mehr Humor, mehr Sprüche, mehr Effekte, mehr Stars, mehr Horror – die Liste kann beliebig weiter geführt werden …

Selten wird ein Stoff so weit be- und überarbeitet, dass er etwas Neues, bleibendes bietet. Denn sobald der kurzfristige finanzielle Erfolg erreicht wurde (durch möglichst viele Ticketverkäufe in möglichst kurzer Zeit) hätte ein Remake schließlich seine Aufgabe erfüllt.

Die Robocop-Neuverfilmung von 2014 entpuppte sich da als eine Ausnahme von der Regel. Außer der Erhaltung einiger Hauptmotive des Originals von 1987 (Regie: Paul Verhoeven) unterscheidet sie sich sonst deutlich von ihm, beobachtet Gesellschaft vielschichtig, kritisch und vor allem erzählerisch gekonnt. In der Filmkritik erhielt sie allerdings gemischte Bewertungen. Der Artikel ‘RoboCop’ a lumbering remake, reviews say der L.A. Times fasst dies gut zusammen.

UNTERRICHTSGEGENSTAND
FÜR SCHULE UND UNI

Gerade aber die reiche gesellschaftskritische Ebene des Films macht ihn zu einen ausgezeichneten Gegenstand in Fächern mit sozialwissenschaftlichem Bezug und eignet sich durch seine FSK 12 Freigabe sehr gut für den schulischen Unterricht. (Bitte schätzen Sie aber selbst ein, ob die Ausschnitte mit der Sensibilität Ihrer Schülerschaft kompatibel sind.)

Anmerkung: Ich verzichte hier auf eine schriftliche Zusammenfassung der Handlung. Diese ist u.a. auf Wikipedia nachzulesen. Die eigene Rezeption des Filmes ist aber sehr zu empfehlen. 

Die Verwendung von aktuellen Spielfilmen als Unterrichtsmaterial ist eine dankbare Angelegenheit. Gerade wenn der Film nämlich mehr als (augenscheinliche) Unterhaltung denn trockener Lernstoff daherkommt, kann man elegant eine Brücke zwischen der Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schülern zu gesellschaftlichen Themen schlagen. Dokumentationen veranschaulichen zwar Realität unmittelbarer, ermöglichen in den meisten Fällen aber nicht die Ebene des persönlichen emotionalen „Andockens“ vor allem einer jüngeren Generation an Themen, die nicht direkt mit ihren Interessen zu tun haben. So zahlt es sich aus, wenn popkulturelle Erzählungen nicht unterschätzt oder gar abfällig behandelt werden, sondern im Gegenteil Einzug als Unterrichtsgegenstand erhalten.

Fiktionale Geschichten vermögen es, uns durch Abstraktion von Realität eine indirekte Auseinandersetzung mit Gesellschaft durch Metaphern und Analogien zu ermöglichen. Filmerzählungen regen Gedanken an. Die Aufgabe von Lehrenden wäre dann, diese indirekte Auseinandersetzung in ihrem Unterricht zu einer direkten zu machen. So angewandt eignen sich Spielfilme hervorragend als Grundlage für eine Auseinandersetzung mit aktuellen, vergangenen oder zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen oder Konflikten. Der „Unschärfebereich“ von Erzählungen ist es, welcher mannigfaltige Beobachtungen und Perspektiven zulässt und im Unterricht lebendige Diskussionen ermöglicht.

Drei dieser Themenangebote von RoboCop (2014) sind als Anregungen in den folgenden Abschnitten zusammengefasst. Der erste Abschnitt eignet sich für die schulische Auseinandersetzung. Die darauf folgenden mehr für die Hochschullehre in Soziologie und Philosophie:

EXPLIZITE BRUTALITÄT VS. EMOTIONALE PERSPEKTIVE DES OPFERS

Eine auffällige Änderung gegenüber dem Original von 1987 war das deutliche Herunterfahren der expliziten Gewalt. Doch diese Entscheidung macht durchaus Sinn:

„Violence in a movie is not a value in itself. (…) The violence you have in a movie has to be compatible with the internal structure of the film. (…) The movie that I was doing – which discusses the politics of drones and the human drama of finding you are a robot – that does not need brains splattered across windows. It would be out of tone.“

Jose Padhila in „RoboCop: The definitive History“, Seite 203, Titan Books, London, 2014

Aus einem ökonomischen Blickwinkel heraus betrachtet bedeutet weniger Gewalt nebenbei bemerkt auch eine Herabstufung der Altersfreigabe und folglich mehr Einnahmen durch mehr (jüngeres) Publikum.
In den 80ern und 90ern war es üblich, Filme für ein erwachsenes Publikum gleichzeitig auch in Form eines Kinderformats zu vermarkten (Die Alien Filme hatten eine eigene Actionfigurenreihe für Kinder, Robocop hatte neben Spielzeug auch eine eigene Zeichentrickserie!)
Die Entscheidung, ein Remake gleich für mehrere Altersstufen kompatibel zu produzieren, bedeutet weniger Aufwand bei mehr verkauften Tickets.

Was auch immer die Gründe waren, die Entscheidung stieß bei Fans des Originals auf deutliche Kritik:

Robocop without gore and self aware parody is not Robocop.“

Audience Review des Users „Steve D“ auf rottentomatoes.com vom 12. Juni 2020
abgerufen am 25. 12.2020

Was der 2014er Film aber bietet, ist die Auseinandersetzung mit einer ganz anderen Form von Gewalt: den Folgen der Entmenschlichung durch die schonungslose Integration von Technik in Körper und Geist. Damit stellt er eine Frage nach den Grundwerten einer Gesellschaft.

In einer Zeit, in der die technischen Errungenschaften von Wissenschaft und Forschung immer schneller voranschreiten und diese Errungenschaften sich gleichzeitig den Gesetzen des freien Marktes unterordnen, stellt sich mehr und mehr die ethische Frage „Wie wollen wir (miteinander) leben?“

RoboCop stellt – vor allem auch in den für einen Actionfilm überdurchschnittlich vielen ruhigen Momenten – die menschliche Ohnmacht gegenüber der unmenschlichen Technik in den Mittelpunkt und führt damit ein Motiv der Science Fiction weiter, das seit Beginn der Industrialisierung ihre Geschichten füllt.

Bereits in der Eröffnungssequenz, welche in Form einer reißerischen TV-Politreportage mit dem Titel „The Novak Element“ daherkommt, wird dies deutlich. Die USA setzen in nicht allzu ferner Zukunft auf autarke Drohnen und Roboter zum militärischen Einsatz in Krisengebieten. Dabei ist diese Zukunftsprojektion keineswegs als unwahrscheinlich abzutun:

„The technology that we‘re presenting is based in technology that is happening right now. And our idea is that if it‘s being researched right now it is gonna be commonplace in 25 years.“

Martin Whist in „The Illusion of free will“ Featurette, 6. Min., Blu-ray Disc, Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. & Columbia Pictures Industries Inc., 2014

Unterrichtsvorschlag für den schulischen Einsatz
z.B. für Fächer: Ethik, Sozialwissenschaft

Zeigen Sie den Schüler*innen die Szene des Attentats auf Murphy (Clip auf YouTube) und anschließend die Szene, in der er Dr. Norton darum bittet, ihm zu zeigen wieviel von seinem menschlichen Körper übrig geblieben ist (Clip auf YouTube). Diskutieren Sie in der Klasse, unter welchen Umständen wieviel des menschlichen Körpers ersetzt werden dürfte. Sammeln Sie pro und contra (Hier wird aller Voraussicht nach die Spanne von totaler Abneigung bis zu voller Akzeptanz gehen).
Zeigen Sie dann den Ausschnitt, in dem RoboCop zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird und Murphy nur noch als Maschine ohne Emotionen „funktioniert“ (Clip auf YouTube). Fragen Sie danach, wieviel Technik das menschliche Gehirn nach Meinung der Schüler*innen enthalten dürfte. Wie sieht es bei dem Thema Fremd- und Selbstbestimmung eines (auch in Teilen) technologisierten Geistes aus?

Weshalb ist uns unser Bewusstsein so wichtig? Diskutieren Sie darüber, was uns ausmacht, was Menschlichkeit bedeutet und was man unter dem „freien Willen“ verstehen kann. Wo hat die technische Entwicklung ihre Grenzen. Bzw. wo sollte/könnte man eine setzen? Empfehlenswert ist als Input zu dieser Entwicklung der Dokumentarfilm „Plug and Pray“ über den Informatiker Joseph Weizenbaum (Stichwort: Verantwortung der Forschung)

Im eröffnenden „Novak Element“ wird der Hintergrund bzw. der politische Konflikt der fiktiven Operation „Freedom Tehran“ nicht erläutert (Clip auf YouTube). Die (visuellen) Parallelen zum tatsächlichen Krieg in Afghanistan sind aber mehr als deutlich. Hier wird bereits die Entscheidungsfähigkeit einer Maschine, die ausschließlich nach feststehenden Regeln handelt, in Frage gestellt. Vor laufender News-Kamera wird ein iranisches Kind von einem Kampfroboter getötet, da dieser in seinen Handlungoptionen offenbar lediglich nach dem Code „Gefahr / keine Gefahr“ unterscheidet. Ein Mensch hätte – hoffentlich – wohl anders gehandelt.

Der vermehrte Einsatz von Robotik ist aus unserer gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr wegzudenken. Entscheidend aber ist, wie weit eine Gesellschaft dabei geht. Sollte alles, was möglich ist, auch getan werden?

Die Vorteile des technischen Fortschritts werden im Film ebenfalls veranschaulicht: In der 16. Minute wird die Figur Dr. Bennett Norton eingeführt, der die kybernetische Abteilung des Megakonzerns Omnicorp (der Hersteller der erwähnten Kampfroboter) leitet. Er befindet sich in dieser Szene im Gespräch mit einem Gitarristen, dem beide amputierte Arme durch mechanische Prothesen ersetzt wurden. Er schafft es tatsächlich, mit diesen Prothesen wieder wundervolle Klänge auf der Gitarre zu spielen. Hier wird gleichzeitig aber auch der Widerstreit von „Geist“ und „Technik“ eingeführt, denn der Gitarrist muss seine Gefühle unter Kontrolle haben, damit die maschinellen Teile einwandfrei funktionieren. Er sagt daraufhin: „I need emotion to play.“ (Clip auf YouTube)

Seinen Höhepunkt erreicht das Thema des menschlichen Leids in der Szene, in welcher Alex Murphy von Dr. Norton verlangt ihm zu zeigen, was als RoboCop von seinem Körper, den er bei einem Bombenanschlag verlor, übrig geblieben ist (Clip auf YouTube). Diese bemerkenswerte Szene entfaltet ihre Stärke nicht durch eine Brutalität der Gewalt, sondern durch eine Brutalität der Emotion. Alex muss in seinem Spiegelbild erkennen, dass neben Herz, Lungenflügel, und Teilen seines Kopfes nur eine einzige Hand von seinem menschlichen Körper „gerettet“ werden konnte. Selbst Bereiche seines Gehirns wurden durch Technik ersetzt.

Die Darstellung von Gewalt in den Actionsequenzen dieses Remakes fungiert allerdings nicht auf dieser emotionalen Ebene. Sie veranschaulicht vielmehr die maschinelle Effektivität und Präzision, wenn es um die Ausübung von Gewalt geht. Die Vorlage von 1987 benutzte ihre äußerst brutalen Sequenzen hingegen größtenteils als eine überhöhte Darstellung von menschlicher Gewalt.

Diese Verschiebung plus die Perspektive des Leids durch die Technisierung des eigenen Körpers bis hin zur Kontrolle des Geistes (z.B. ab der 46. und 55. Minute) bereichern diesen Film mit einem anderen gesellschaftlichen Fokus als das Original von Paul Verhoeven, über das Regisseur Padhila sagt:

„Take a look at the movie Full Metal Jacket: that is about turning humans into machines. Verhoeven saw that. He saw that fascism exists from dehumanising the people who are executing the orders of the state. He created the character that embodies that – RoboCop.“

Jose Padhila in „RoboCop: The definitive History“, Seite 185, Titan Books, London, 2014

Während man dem Film von 1987 also den Faschismus und die dadurch entstehende Brutalität als Thema herauslesen kann, so beschäftigt sich die 2014er Version viel mehr mit einer umgedrehten Heldengeschichte: Wie wird der unbezwingbare Kampf-Roboter wieder zum Menschen? 

VERANTWORTUNG DES EINZELNEN,
VERANTWORTUNG VON INSTITUTIONEN

Ein besonders wichtiger Satz wird erst gegen Ende des Filmes von einer Nebenfigur fallen. Als der Charakter Tom Pope, der bei Omnicorp in höchster Ebene das Marketing leitet, um sein Leben fürchtet, versucht er sich mit der scheinbar geringfügigen Position seines eigenen Jobs zu schützen:

„I‘m just from Marketing“

Damit weist er jede Verantwortung von sich. Und „Verantwortung“ ist ein weiteres großes Themenangebot des Filmes.

Im Laufe der Handlung haben wir es mit zahlreichen Entscheidern auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft zu tun. Entscheidern in der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der Politik. Wenn wir diese Bereiche als Kommunikationssysteme nach Niklas Luhmann betrachten, so suchen sie nach Anschluss und Aufrechterhaltung ihrer Kommunikation ausschließlich auf Basis ihres eigenen systemimmanenten Codes: Geld/kein Geld, wahr/unwahr, Regierung/Opposition (vgl. Luhmann 1988 „Die Wirtschaft der Gesellschaft“, 1990 „Die Wissenschaft der Gesellschaft, 2002 „Die Politik der Gesellschaft“)

Die vergnügliche Lektüre von Michael Endes Gedicht „Der wirkliche Apfel“ zur Komplexität der Wirklichkeit sei hier ans Herz gelegt. Erschienen in „Die Schattennähmaschine“ und „Das große Michael Ende Lesebuch“

Ein kurzer Exkurs zum Wesen einer (Film-)Erzählung, bevor ich mich wieder den Sozialen Systemen widme: Filme als Teil der Kommunikation durch Massenmedien reduzieren Komplexität. Nicht zuletzt durch eine Vereinfachung der Darstellung von Figuren und Lebenswirklichkeiten. Dieser Wesenszug, nämlich wenig komplex zu sein, wird Filmen regelmäßig als Kritik vorgeworfen, wobei vergessen wird, dass es lediglich der Grad der Vereinfachung ist, der die gedanklichen Anschlusspunkte des Publikums bedient. Es gibt schlichtweg keine nicht-vereinfachenden Geschichten. Selbst die komplexeren Erzählungen vereinfachen nur weniger als andere. Auf die Reduktion von Komplexität verzichten kann kein Film, keine Erzählung, keine Kommunikation. Dies negiert selbstverständlich nicht unseren Wunsch danach, auch mal von einer Erzählung gefordert werden zu wollen.

Diese Reduktion von gesellschaftlichen Prozessen durch Beobachtung von handelnden Filmfiguren hilft uns aber solche Systeme zu verstehen: Politik möchte durch ihre Entscheidungen an der Macht bleiben (alles andere ist irrelevant). Wirtschaft will mehr Geld erschaffen (alles andere ist irrelevant). Wissenschaft will Wahrheit erkennen (und auch hier: alles andere ist irrelevant)

Die Wirtschaft ist durch die Figur Raymond Sellars, Chef von Omnicorp, repräsentiert (man beachte den Nachnamen). Seine Position und Rolle ist klar definiert: Profit, Wachstum, Expansion ohne Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Schäden. Der Code des Wissenschaftssystems findet sich in der Rolle von Dr. Norton, der danach strebt, die „Wahrheit“ (im Sinne von wissenschaftlich Möglichem) zu erreichen.
Die Politik ist hier ein interessanter Faktor: Senator Hubert Dreyfuss handelt zunächst nach persönlichen Überzeugungen, indem er bewaffnete Maschinen als Polizeiersatz auf dem Gebiet der USA durch den Dreyfuss-Act verbietet, den Sellars aus Profitgründen kippen will. Doch das Verbot kann der Politiker Dreyfuss nur solange aufrecht erhalten wie er die Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite weiß. Als Omnicorp mit dem RoboCop Mensch und Maschine vereint, beginnt auch die Bevölkerung diese Entwicklung zu akzeptieren. An diesem Punkt wird der „Dreyfuss Act“ aufgehoben, und Senator Dreyfuss bleibt durch diese Entscheidung weiter in der Regierung / an der Macht. Das politische System läuft somit weiter nach vorgeschriebenem Code.

Man beachte, dass alle drei Personen Verantwortung für ihr Handeln tragen, allerdings ausschließlich auf ihrem jeweiligen Gebiet. Dadurch entstehen die Konflikte des Filmes. Und auch nur dadurch entsteht die Tragödie der Erzählung. Daraus könnte man ziehen, dass eine „gesamtgesellschaftliche“ Verantwortung weit über hermetisch abgeriegelte Entscheidungen einzelner gesellschaftlicher Bereiche hinaus gehen sollte. Über allem steht aber die Erkenntnis, dass diese Bereiche immer nach ihrem eigenen Code handeln werden: Wirtschaft (als System) handelt nicht moralisch, es sei denn die Moral bringt mehr Geld ein. Alles, was möglich ist, um Profit zu bringen, wird auch getan werden.

Sehr interessant wird die ganze Sache an den Punkten, wo alle Akteure durch die Entwicklung des RoboCop Kontrolle (Anschlussfähigkeit) über ihren Bereich erlangen (noch einmal: Profit, Wiederwahl, weitere Forschung) So lässt selbst der sympathisch und integer wirkende Dr. Norton in einer Situation, in der er unter hohem Druck steht, die Maschine den Menschen übernehmen, um die Effizienz des RoboCop im Kampf zu steigern (Clip auf YouTube) und damit seine Forschung weiterlaufen zu lassen. Sie alle sind verantwortlich.

„Well, when the machine fights, the system releases signals into Alex’s brain making him think he’s doing what our computers are actually doing. I mean, Alex believes right now he is in control. But he’s not. It’s the illusion of free will.““

Dr. Bennett (Filmfigur) , 50. Min., Blu-ray Disc, Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. & Columbia Pictures Industries Inc., 2014

Kommen wir zurück zu dem Zitat des Marketingchefs Tom Pope: „I‘m just from marketing“ … Die Leugnung jeglicher Verantwortung in führenden Positionen – oder auch: in Entscheiderpositionen egal auf welchen Ebenen – führt zu einer Abkopplung des eigenen Handelns von negativen gesellschaftlichen Entwicklungen. Tom Pope ist im gesamten Film eher eine Randerscheinung. Doch auch (und gerade) das Marketing war bei der Entwicklung des RoboCop bzw. der Umwandlung von Alex Murphy entscheidend, wenn nicht sogar eine treibende Kraft im Hintergrund. Wie nebenbei übt der Film dabei Kritik an einer Marketingindustrie, welche Menschen zu Produkten macht.

Als Fazit könnte man aus dem Film herauslesen: Wir sind verantwortlich. Wir alle.

WAHRNEHMUNG UND KÖRPER

Der schrittweise Austausch bzw. die Optimierung des menschlichen Körpers durch technische Bestandteile ist ein wiederkehrendes Motiv der Science Fiction nicht nur im Film, sondern auch in Literatur und Videospiel. War die Vision des Maschinenmenschen vor Jahrzehnten tatsächlich noch mehr Fiktion als tatsächliche Wissenschaft, so nähern wir uns heute mehr und mehr dem Punkt einer konkreten ethischen Fragestellung wie weit Forschung (und die Integration ihrer Ergebnisse in unseren Alltag) gehen darf und sollte. Zur informativen Lektüre zum Thema des wissenschaftlichen Fortschritts sei das Interview mit Production Designer Martin Whist auf discovermagazine.com empfohlen.

Ein philosophischer Text, den man leicht mit einem Gedankenexperiment der klassischen Science-Fiction verwechseln könnte, ist Jean-François Lyotards Essay „Ob man ohne Körper denken kann“.

Darin beschreibt er das Szenario des Endes unseres Sonnensystems und die Frage danach wie dieses Ende überhaupt gedacht werden kann:

„(…) denn »Ende« bedeutet »Grenze«, und man muß auf beiden Seiten einer Grenze stehen können, um sie zu begreifen. Also muß man das, was aufhört, in Gedanken fortführen, um sagen zu können, daß es aufhört. Das ist wohl für jene Grenzen richtig, die Grenzen des Denkens sind, Aber nach dem Tod der Sonne wird es kein Denken mehr geben, welches wissen könnte, daß das der Tod war.“

(Jean-François Lyotard „Das Inhumane“, S. 20, Passagen Verlag, Wien, 2006)

Er führt weiter aus, dass die Erhaltung des Denkens analog zu der Erhaltung des (bzw. eines) Körpers ist. Ein maschineller Körper allein aber würde auch das Denken, wie wir es gewohnt sind und als selbstverständlich erachten, verändern.

„Man kann den Körper als die hardware jener komplexen technischen Einrichtung sehen, die das Denken ist. (…) Das zentrale Problem für Technologie und Wissenschaft läßt sich deshalb wie folgt umschreiben: für diese software eine hardware entwickeln, die nicht von den Lebensbedingungen auf der Erde abhängig ist. Also: Ein Denken ohne Körper ermöglichen, das nach dem Tod des menschlichen Körpers weitergeht.“

(Jean-François Lyotard „Das Inhumane“, S. 24 ff., Passagen Verlag, Wien, 2006)

In dem Essay kommt er zu dem Schluss, dass sich unser Denken analog zu der Beschaffenheit unseres Körpers gestaltet. Das Wahrnehmbare, sowie das Nicht-Wahrnehmbare (Gedachte), das Füllen von Leerstellen ermöglicht erst der Körper wie er ist und wie wir ihn kennen. Ein anderer Körper würde ein anderes Denken bedeuten.

„Der menschliche Körper in seiner Materialität steht der Abtrennbarkeit dieser Intelligenz, der Möglichkeit ihres kosmischen Exils – und folglich ihrem Überleben – entgegen. Doch gerade der phänomenologische, sterbliche, wahrnehmende Körper ist das einzige Analogon, über das wir verfügen, um eine gewisse Komplexität des Denkens denken zu können.“

(Jean-François Lyotard „Das Inhumane“, S. 35, Passagen Verlag, Wien, 2006)

In RoboCop wird dieses gedankliche Experiment in Form einer unterhaltsamen Erzählung erfahrbar gemacht. Gerade in der oben erwähnten Szene, in welcher Alex Murphy vor Augen geführt wird, wie wenig von seinem menschlichen Körper überhaupt noch übrig ist, können wir als Beobachter reflektieren, wie wenig „Mensch“ Murphy als RoboCop noch ist und wie fremd er sich selbst und uns erscheint. Sobald der Körper aber wieder zusammengesetzt ist und eine menschliche Gestalt nachahmt, fühlen wir uns wieder mit ihm vertraut.

In diesem Film wird das menschliche Denken nicht durch die Form des Körpers verändert sondern durch seine technischen Möglichkeiten. Das gedankliche Experiment dieses Films, nämlich dass das bewusste Handeln eine Illusion der Technik sein könnte, ist ein bemerkenswerter Akzent, der dem Publikum geboten wird.

Dem menschlich anmutenden Maschinenkörper des RoboCop wird die nichtmenschlich geformte Maschine ED-209 gegenübergestellt. (Das Design sowie der Name ist ein direktes Zitat aus der klassischen Vorlage von 1987.) Gleich zu Beginn des Film sind die ED-209-Einheiten Teil der Operation „Freedon Tehran“. Interessant dabei ist es, dass neben diesen Einheiten in den Straßen Teherans auch die EM-208er unterwegs sind, die insgesamt dann doch dem menschlichen Körper nachempfunden sind. Obwohl beide Modelle sich so nur im Aussehen unterscheiden, haben die Macher entschieden, dass es ein ED-209er sein soll, welcher das Kind erschießen wird. Die „Fehlentscheidung“ wird dadurch im Maximum technisiert und entmenschlicht.

Hier wird deutlich, wie wichtig der Körper sein kann, wenn es nicht nur um das Denken über die eigene Wahrnehmung geht, sondern auch um das Denken über das Gegenüber. Obwohl es für eine nichtdenkende Maschine absolut irrelevant ist wie ihr Körper beschaffen ist, scheint es gerade für uns Menschen durchaus relevant zu sein, um mit dieser Maschine interagieren zu können.

Es bleibt die Frage, welchen Körper wir uns selbst in nicht allzu ferner Zukunft werden bereit sein zu geben und wie diese Entscheidungen unser Denken und unsere Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, verändern werden. Diese Frage, so sehr sie als Science Fiction anmuten mag und zunächst fern erscheint, sollte jedoch nicht leichtfertig beiseite geschoben werden.

Science Fiction ist zwar ein Gedankenexperiment, aber ein Experiment, das als Grundlage das Heute nimmt, um mögliche Welten der Zukunft zu projizieren. Bis zum Ende des Sonnensystems wie in Lyotards Text geht der Film RoboCop zwar nicht, lädt aber dazu ein, sich mit dem Themenkomplex „Körper und Wahrnehmung“ auseinandersetzen.