Kunstkaraoke
Kreativ die Wahrnehmung und Kommunikation im Kunstunterricht trainieren
»Sag was. Na los, egal was. Was dir durch den Kopf geht.«
»DIE SPINNEN, DIE RÖMER!«
– aus: Asterix und der Kupferkessel, Goscynny/Uderzo, Ehapa Verlag
Auf seinem Instagram-Kanal zeigt Schauspieler Brian Morabito Videos, die ich als „Improtheater mit Kunstwerken“ bezeichnen würde. Mit einer gehörigen Portion Spontaneität, Humor und Lockerheit filmt er in Museen die Figuren eines Gemäldes und legt ihnen einen Springbrunnen an Dialogen in ihre Münder. Er erschafft dadurch kleine und sehr unterhaltsame Sketche, die den historischen und gesellschaftlichen Kontext der Werke nahezu vollkommen ignorieren. Es ist eine wahre Freude zu sehen, durch welch unvoreingenommenes Auge er selbst auf die Gemälde schauen kann und so dieses Feuerwerk an Kreativität vor uns entfaltet. Inspiriert von diesem fantastisch lockeren Ansatz wollte ich einen Zugang, eine Einstiegsmöglichkeit in meine Unterrichtsstunden im Fach Kunst in der Sek I formen.
Als weitere Quelle nahm ich die Methode namens Präsentationskaraoke, auf die ich seiner Zeit im Twitterlehrerzimmer gestoßen bin. Dabei bekommen Schüler:innen eine Überraschungsgrafik vorgesetzt, zu der sie aus dem Stegreif einen Präsentationsvortrag improvisieren sollen, wobei es nicht auf ein richtig oder falsch ankommt, sondern darauf, locker an einen Vortrag ranzugehen und das Präsentieren zu üben.
Worte finden, interpretieren, sich interessieren
Worum geht es gerade im Kunstunterricht? Wahrnehmen, Gestalten und Reflektieren. Im künstlerischen Füllen einer leeren Leinwand trifft man als Künstler:in auf verschiedene Wegweiser wie das In-sich-gehen, das Auf-sich-hören oder dem Wunsch nach Ausdruck eines Gefühls. Alles meist nonverbal.
In der Auseinandersetzung mit einer bereits gefüllten Leinwand aber braucht es die Sprache. Und durch sie die Kommunikation, um untereinander Sichtweisen auszutauschen, sich aneinander zu reiben oder sich gar über Werke zu streiten und dadurch mit der Wahrnehmung ein Stück weiter zu kommen. Die Sprache ist das Beste, was wir haben. Und sie muss trainiert werden. Auch im Kunstunterricht.
Mit dem „Kunstkaraoke“ habe ich schließlich einen Weg gefunden, das Sprechen über Kunst, die Wahrnehmung und Reflexion von Kunstwerken in lockerer und spaßiger Art und Weise in meinen Unterricht zu integrieren.
Hier, was passiert:
– Vorbereitung einer ausreichenden Zahl an Kunstwerken
Die Zahl orientiert sich an den zur Verfügung stehenden Kunststunden. Es soll eine möglichst bunte Mischung von verschiedenen Werken zusammenkommen. Aus verschiedenen Epochen, Stilen, Kulturräumen. Aber auch Concept-Art aus Filmen oder Fotografien können einfließen, um die Bandbreite so weit wie möglich zu gestalten. Die Bilder werden digital gesammelt und nur mit Nummern als Dateinamen durchgehend „anonymisiert“.
– Vorbereitung von Losen
Zwei Arten von Losen werden benötigt. Einmal die Namen der Schüler:innen einer Klasse und dann noch die Nummern der Bilder.
– Auslosung
Es wird zunächst der Name des Schülers/der Schülerin gezogen, der/die and der Reihe sein wird. Dieser/diese zieht sich dann ein Bild-Los.
– Vorbereitungszeit
Die Klasse verlässt den Raum, damit sich der Schüler/die Schülerin mit dem Bild auseinandersetzen kann, das nun auf dem Monitor oder dem Smartboard gezeigt wird. Die Lehrkraft verlässt ebenfalls den Raum.
– Das Kunstkaraoke beginnt
Von nun an beginnt ein Rollenspiel. Der/die präsentierende Schüler/in heißt die „Ausflugsgruppe“ im Museum oder in der Galerie willkommen und wird ihnen als Expert:in etwas zu der Entstehung des Werkes und der Person des Künstlers/der Künstlerin erzählen. Hier ist alles (wirklich jeder Quatsch) erlaubt, solange es nicht ausfallend, herabwürdigend oder ausgrenzend wird.
– Fragen stellen
Nachdem die Gruppe der imaginierten Historie des Werkes und dessen Interpretation gelauscht haben, dürfen nun auch Fragen gestellt werden. Auch hier hält sich die Lehrkraft so weit wie möglich zurück und springt nur bei andauernder Stille ein.
Um den Fokus mehr auf das Kommunikationstraining zu legen, kann das aktive Zuhören gefördert werden, indem folgende Regel eingeführt wird: Jede Frage muss Bezug nehmen auf etwas zuvor Gesagtes. Auch so kann alles gefragt werden. Die Schüler:innen müssen „nur“ einen Bezug zum Vorangegangenen herstellen können.
– Optional: Auflösung
Nach dem Karaoke kann der Klasse optional angeboten werden, dass sie kurz etwas zum wahren Hintergrund des Bildes erfährt. In meiner Praxis wurde der Abgleich des Ausgedachten mit der Realität zu einem festen Bestandteil des Kunstkaraoke, mit einem ganz eigenen Unterhaltungsfaktor und einer Aufmerksamkeit, die ganz und gar aus der eigenen Neugierde der Lernenden erwuchs.
Zum Abschluss:
Auch wenn sich die Schüler:innen (im positiven Sinne) teils absurdesten Quatsch ausgedacht haben, so war der Kern ihrer Interpretation nicht selten sehr nah an den tatsächlichen Inhalten der Kunstwerke, was auch bei mir immer wieder ein Staunen auslöste.
Und zu guter Letzt die Notengebung: Ich habe keine inhaltlichen Dinge bewertet. Wie auch, wenn gerade da den Schüler:innen die Sorge vor „falschen“ Aussagen (also was die Lehrkraft für falsch hält) genommen werden soll und das Ziel darin besteht, einen eigenen Zugang zu einem fremden Kunstwerk zu finden. Hier kam es ausschließlich darauf an, sich einzubringen, wenn man nicht der/die Präsentierende ist.